Bergheimer Geschichten oder, wie es so schön heißt, Anekdötchen

Es sind nicht nur immer die historischen Ereignisse, die es gilt festzuhalten, sondern auch die kleinen Geschichten zum Schmunzeln, die unsere Region, mit ihrem ganz eigenen Humor, so liebevoll macht. Die Recherche hierzu basiert auf den entsprechenden Zeitzeugen. Die Geschichte um Hellers Minsch haben mehrere Personen bestätigt. 

 

 

„Unsere Oma saß im Aachener Tor im Gefängnis – die hat dann da gestrickt“

  

Um Gottes Willen, eine Kriminelle im Hause Bondü? Und da war doch der kleine blonde Junge mit der Brille, der ebenfalls erzählte, dass sein Uropa im Aachener Tor eingesperrt wurde. Was war denn da los? Die Foltermethoden, die hier im Mittelalter im Rahmen der Hexenverfolgungen und bei anderen Strafverfahren vollzogen wurden, sind hinreichend bekannt. Aber warum wurden nach dem 1. Weltkrieg ehrbare Bürger dort festgehalten? Die am 1. Juli 1877 in Auenheim geborene Apollonia Bondü war eine gradlinige Frau. Sie hätte niemals jemanden bedroht, beraubt oder einem Menschen irgendwie schwer geschadet. Aber zu der Zeit, als die Hungersnot in „Berchem“ groß war, hat sie, genauso wie andere Mütter und Väter auch, dafür Sorge getragen, dass ihre Kinder was in den Magen bekamen. In Köln war diese Vorgehensweise nach dem zweiten Weltkrieg als "fringsen" bekannt und von dem damaligen Kardinal Frings "legalisiert" worden - leider zu spät für Apollonia. 

Apollonia  hat in der Abenddämmerung Gemüse auf den Feldern um Wiedenfeld „geerntet“ und wurde erwischt, als Diebin verurteilt und musste zur Strafe am Wochenende in „Arrest“. Die Zeiten, in denen die Frauen dort mit Kerzen gequält wurden, waren ja schon lange vorbei – aber Apollonia war keine Frau, die einfach nur rumsaß und nichts tat. Als Diebin fühlte sie sich ohnehin nicht. Also nahm sie ihr Strickzeug mit und sorgte erneut für ihre drei Pänz. Montags waren die Socken fertig. Gefehlt haben ihr eigentlich nur Kaffee und Kuchen. Den Gefängniswärter hat es offensichtlich nicht gestört. Dem Uropa des blonden Jungen erging es ähnlich, er hatte Kartoffeln auf einem Feld gestohlen, weil er vor Hunger nicht mehr ein noch aus wusste. Es ist allerdings davon auszugehen, dass er die  Stricknadeln zu Hause gelassen hat.

 

: Apollonia Bondü mit den Kindern Heinrich, Elisabeth und Sofie 1915 (Foto: Waltraud Bondü)

 

 

 

Die Eisdiele „Nau“

Direkt neben dem Aachener Tor (von der Feldseite aus gesehen) gab es die Eisdiele Nau. „Aber eigentlich hießen die gar nicht so, erzählen Zeitzeugen.“ Was steckt denn da dahinter?

Als die Amerikaner Ende des 2. Weltkrieges in unser Städtchen kamen, hatten sie wohl mehrfach Kontakt mit dem hiesigen Eisdielenbesitzer Burtscheidt. Er war immer wie aus dem Ei gepellt. Weiße Mütze und Schürze und dazu auch noch eine schicke Hose. Doch das mit der englischen Sprache, das war nicht sein Ding. Wenn er irgendwas verneinen wollte, dann fiel ihm das „No“ zu sagen doch sehr schwer. Heraus kam immer wieder ein lautes und energisches „Nau, Nau“. So kam er zu seinem neuen Namen. Die Eisdiele wurde vor ca. 25 Jahren abgebrochen. Heute befindet sich dort eine Shisha-Bar.

„Kamelle-Jesus und Klitschestangejulche“

Spätestens nach dem Erscheinen des Bergheimer Stadtführers ist die Geschichte des Heinrich Jungbluth bekannt, der schnell in Bergheim den Namen „Kamelle-Jesus“ weg hatte. Das Bergheimer Original hatte einen wallenden Bart und war als äußerst temperamentvoll bekannt. Er war ab 1934 Nachfolger des Kolonialwarenhändlers Wilhelm Dickershof und verkaufte wie sein Vorgänger Erzeugnisse aus Übersee wie Zucker, Tabak, Kaffee, Reis, Kakao, Gewürze und Tee. Auch Berliner und Getränke aus einer Flasche mit Kugeln wurden dort angeboten. Kinder und Jugendliche liebten es, diesem Herrn Jungbluth ein paar Streiche zu spielen. Er ging direkt hoch wie eine Rakete, griff in sein Bonbonglas und bewarf die Kinder mit Bonbons. Getroffen hat er immer. Doch auch die Jugend hatte ihr Ziel erreicht. Das begehrte Kammelche konnte nun mit Genuss gelutscht werden.

Doch auch Jule Jungbluth hat in diesem Laden neben der ehemaligen „Alten Torwache“ in der Nähe des Aachener Tores gearbeitet. Der heute 92-jährige Carl Lippert kann sich noch erinnern, dass „dat Julchen janz langsam rumjeschlufft ist“. Damals war er noch ein kleiner Junge und er empfand „dat Julchen“ als uralt. Die Kinder liebten sie, weil sie die Lakritzstangen immer zum Vorteil der Kleinen verkaufte. So wurde sie schnell „Klitschestangejulche“ genannt.

 

Offensichtlich hatte Julchen aber noch andere Spitznamen. Witwer Koch aus Bergheim heiratete Josefa Vorbeck aus Much bei Eitorf an der Sieg. Die frisch gebackene Ehefrau war sehr unsicher. Sie wollte auf keinen Fall etwas falsch machen. Da die Schränke (im Dialekt Schaaf genannt) leer waren, beschloss sie, einkaufen zu gehen. Logischerweise kannte sie sich im Städtchen noch gar nicht aus und fragte ihren Mann, wo sie denn am besten hingehen sollte. „Geh zum Eckschääfje“, war die Antwort. Gemeint war hier niemand anders als das „Klitschestangejulche“. Da sie sich von ihrer besten Seite zeigen wollte, bemühte sie sich, ganz „fürnehm“ zu sein und begrüßte Jule mit „Guten Tag Frau Eckenschrank!“ Jule soll sie zunächst verstständnislos angeschaut haben, doch dann zogen sich ihre vielen alten Lachfältchen freundlich auseinander und sie kriegte sich gar nicht mehr ein. Josefa stand mit einem hochroten Kopf da und erntete nochmals schallendes Gelächter, als sie zu Hause ihrem Ehemann Kaspar Koch die Geschichte erzählte, die noch heute oft bei Familienfesten „auf den Tisch kommt“. Hier ist man sich übrigens einig, dass Witwer Koch mit der Heirat der warmherzigen und hilfsbereiten Josefa ein absoluter Glücksgriff gelang.

Josefa und Kaspar Koch

 

 

Hellers Minsch und die Geschichte mit dem Gandhi

Dieses Verzällcher mussten mir gleich mehrere Zeitzeugen bestätigen, bevor ich sie glauben konnte. Hellers Minsch war ein junger Mann, der viel Zeit im Bergheimer Dorf verbrachte. Wie er denn nun richtig hieß, weiß keiner mehr.  Es war damals schlichtweg normal, dass fast alle Leute irgendeinen Spitznamen hatten. Er blickte schon mal öfter viel zu tief ins Glas. In völliger Benebelung fiel ihm dann wohl ein, dass er ja immer schon mal im Berchemer Karnevalszug mitgehen wollte. Aber nicht als irgendwer, sondern als Gandhi. Er bat dann seine Kumpels, ihm die Zähne zu ziehen.

 

Irgendjemand kam dieser Bitte wohl auch nach. „Von da an ist er auf de Felje getrocke“. Der Promille-Anteil muss wirklich schon sehr hoch gewesen sein, ansonsten tut sich diese Schmerzen ja wohl keiner an. Er ist dann aber später auch wirklich mit Baumwollgewand und Ziege als Gandhi zu Karneval durch Berchem marschiert. Hier wurde er sogar fotografiert. Das besagte Bild hat wohl lange in der Gaststätte von Kochs Schäng im Bergheimer Dorf, heute Gaststätte „Em Dörp“, gehangen. Leider ist es heute verschollen.

Der Herr im weißen Hemd ist der als "Hellers Minsch" bekannte Bergheimer